
Die Weltgesellschaft entwickelt sich gut – sogar besser als die Menschen es einschätzen können. Selbst, wenn eine Situation schlecht ist, wird sie besser. Und zwar in den wichtigen Themen Armut und Reichtum, Bevölkerungswachstum, Geburten und Todesfälle, Bildung, Gesundheit, Geschlecht, Gewalt, Energie und Umwelt. Unabhängig von Bildungsstand schätzen die Menschen die Fakten jedoch auf Basis einer veralteten Weltsicht ein. Hans Rosling will mit seinem faktenbasierten Weltbild aufklären. Er will versuchen, „Einfluss auf die Welt zu nehmen: Die Denkweise der Menschen zu verändern, ihre irrationalen Ängste zu lindern und ihre Energien in konstruktives Handeln umzulenken“ (28). Denn die soziale Ungleichheit nimmt zu, der Klimawandel macht sich zunehmend bemerkbar. Insgesamt behandelt er neun Instinkte, die es zu überwinden gilt, um die Factfulness in der Praxis leben zu können.
Der Instinkt der Kluft: Wir und Die, die westliche Welt und die restliche Welt, die entwickelten Länder und die Entwicklungsländer, Arm und Reich. Es sind Klüfte wie diese, die ein verzerr-tes, negatives und veraltetes Bild der Welt zeichnen. Dieser erste Megatrugschluss basiert auf dem menschlichen Drang zu dichotomisieren und wird zudem von den Massenmedien zum Zwecke ihrer Dramaturgie zusätzlich befeuert. Dabei handelt sich oft um Vergleiche von Durchschnitten, Vergleiche von Extremen oder einem Blick von oben herab. Viel geeigneter und differenzierter ist es, zwischen vier Entwicklungsstufen zu unterscheiden, um den Fort-schritt in den relevantesten Lebensbereichen aufzuzeigen. Und siehe da: Eine Kluft gibt es häufig nicht mehr, die meisten Menschen bewegen sich innerhalb der Entwicklungsstufen 2 und 3; eine positive und aufmunternde Entwicklung.
Der Instinkt der Negativität: Die meisten Menschen glauben, die Verhältnisse der Welt verschlimmern sich, der zweite Megatrugschluss. Wie könnte jemand anderer Meinung sein. Die Medien berichten von Naturkatastrophen, Krieg – von „Mord und Totschlag“; die Erinnerung romantisiert die Vergangenheit und wie könnte jemand von einer positiven Entwicklung sprechen, wenn es nach wie vor schlimme Dinge gibt. Doch ein Blick auf die Statistiken der UNO zeigt: Die extreme Armut nimmt ab, die Lebenserwartung steigt. Es gilt: die Welt entwickelt sich zum Positiven; hat aber weiterhin Verbesserungsmöglichkeiten.
Der Instinkt der geraden Linie: Der letzte Megatrugschluss ist der Glaube, die Weltbevölkerung würde einfach so, d.h. gradlinig, weiterwachsen. Tatsächlich wird sich die Bevölkerungsanzahl im Jahr 2100 bei ca. elf Milliarden Menschen einpendeln. Dabei wird hauptsächlich der Anteil an Erwachsenen ansteigen. Das Beispiel zeigt: Wachstum geschieht nicht nur gradlinig, sondern auch kurvenlinig. Das lernten wir ebenfalls in der Corona-Pandemie.
Der Instinkt der Angst: Ängste – Philipp Hübl würde „Ekel“ hinzufügen – verleiten Menschen dazu, Risiken falsch einzuschätzen und dadurch irrationale Entscheidungen zu treffen. Davor mahnt Rosling. Hilfreich ist, die Ängste zu hinterfragen und mit Datensätzen abzugleichen. Denn was furchterregend ist, muss nicht gefährlich sein – wie ein Flug mit einem Flugzeug.
Der Instinkt der Dimension: Einfache Zahlen relativieren und schon kann jede:r einzelne Ereignisse besser einschätzen und verschiedene Situationen utilitaristisch(er) abwägen – ein einfaches Rezeptes, um unter anderem empörend-wirkende Zahlen kühl zu bewerten.
Der Instinkt der Verallgemeinerung: Kategorien geben Menschen Orientierung im Leben, können aber als Stereotype verheerend sein. Nicht nur, weil für die Betroffenen diskriminierend ist, sondern auch, weil sie dazu führen können, dass potenziell große Märkte unentdeckt bleiben. Lieber noch eine modifizierte Damenbinde für den europäischen Markt entwickeln, als mit dem aktuellen Produkt in die afrikanischen Länder zu expandieren. Es lohnt sich also, gerade Stereotype zu hinterfragen und in orientierungsgebende Kategorien umzustrukturieren. China tat dies und kontrolliert nun weite Teile des afrikanisches Kontinents.
Der Instinkt des Schicksals: Die Lebenssituation einzelner Menschen, Ethnien, Religionen oder jedweder Identitätsgruppen ist vorbestimmt und ist unveränderbar. Verhalf der Instinkt vergangenen Gesellschaften zum Überleben, verhindert er heute „revolutionäre Veränderungen“ – entweder mangels Wissen oder mangels Willen. Trotzdem finden Veränderungen statt, wenn auch langsam. Sich dieser bewusst mittels gezielter Recherche und intergenerationaler Kommunikation bewusst zu werden, wirkt diesem Instinkt entgegen.

Der Instinkt der einzigen Perspektive: Diskussionen um gesellschaftliche Herausforderungen wie der Corona-Pandemie oder Klimawandel zeigen: Um sie bewältigen zu können, bedarf es nicht nur Virolog:innen oder Klimaforscher:innen, sondern etliche andere Fachdisziplinen. Ähnlich verhält es sich mit individuelleren Problemen – die eigene Wahrnehmung und das eigene Wissen sind begrenzt. Um ein Problem bestmöglich einschätzen und lösen zu können, braucht es daher mehrere Perspektiven. Der nächste Schritt zur Factfulness.
Der Instinkt der Dinglichkeit: Heute endet ein Angebot, morgen muss eine Hausarbeit abgegeben werden und am besten sofort die Klimakatastrophe verhindert. Bei aller Relevanz um die kleinen und elementaren Probleme, sollten sie nicht voreilig und unüberlegt angegangen werden. Im Gegenteil. Durchatmen. Daten sammeln. Kleine Schritte planen. Problem lösen. Wird auch dieser Instinkt überwunden, ist die Factfulness erreicht. Eine Einstellung, die manch emotionale Debatte oder emotionalisierte Berichterstattung bereichern dürfte.
Kontext: Dies ist eine Buchrezension, die Teil meines Studiums ist und aus dem letzten Jahr stammt. Abgegeben wurde sie am 16.11.2021. Lediglich die Bilder sind nachträglich eingefügt worden.
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