Bildcover; © Thalia.de

Ein kleines Erlebnis inspirierte Robert Pfaller zu einer Abrechnung mit der linken und neolibaleralen Pseudopolitik: Zu Beginn des Filmes „Amour“ von Michael Haneke kommt eine Warnung, dass dieser „adult language“ beinhalte. Was Pfaller dabei weniger stört, ist, eine Warnung als solche zu benennen. Auch Altersbeschränkungen würden vor Filmbeginn eingeblendet. Was ihn stört ist „die als evident vorausgesetzte Annahme, dass es Erwachsenen nicht zumutbar sei, sich als Erwachsene zu verhalten; dass die Belastbarkeit, die Erwachsenen eignet, nicht von jedem Erwachsenen mehr verlangt werden dürfe“ (14).

Erschrocken stellt er fest, dass die Erwachsenensprache auch aus der Politik und Kultur verschwindet. Würde er noch an dem Buch schreiben, könnte er dies inzwischen anhand weiterer Beispiele aus der Kultur – insbesondere der Filmlandschaft – aufzeigen. Denn Disney platziert vor Klassikern wie Peter Pan oder Dumbo neuerdings eine Warnung. Social Media Kanäle, die sich mit psychischen Krankheiten auseinandersetzen, setzen vor ihren Inhalten ebenfalls sogenannte Triggerwarnungen. Ein Mittel, das Pfaller bereits an den Universitäten etabliert sieht. Studieren im „Safe Space“: Künstlerische oder philosophische Arbeiten sollen das „well being“ der Studierenden nicht gefährden. Sie sollen nicht traumatisiert werden. Für Pfaller ist das vergleichbar mit einem Medizinstudierenden, der kein Blut sehen kann (vgl. 48). Auch Philipp Hübl kritisiert diese Entwicklung. Bestünde die Gefahr getriggert zu werden, sollten Themen nicht unausgesprochen bleiben, sondern die betroffenen Personen erst eine Therapie machen, um sich mit diesen Inhalten erneut befassen zu können.

Neben diesen Beispielen aus der Kultur, gibt es in der Politik, ja im Alltag unzählige Debatten über den „richtigen“ Sprachgebrauch. Ein Fokus liegt dabei auf Gendern. Das generische Maskulin, das perse geschlechtsneutral ist, wird nicht mehr als geschlechtsneutral interpretiert. Also werden neue Formen gebildet. Ärzte sind zunächst ÄrztInnen, dann Ärzt_innen, dann aber doch Ärzt*innen und nun Ärzt:innen. Es schien, als habe sich letzteres durchgesetzt. Doch dann der nächste Vorschlag: Ärztys. Ob sich diese Form des Genderns durchsetzt, ist aktuell nicht abzusehen. Ganz zu schweigen, ob dies die letztere Änderung sein wird. Ein zweiter Fokus liegt auf die richtige Bezeichnung für farbige Menschen. Ein dunkelhäutigen Menschen als dunkelhäutig oder gar als schwarz zu bezeichnen, ist längst verpönt. Anerkannt ist People of Colour, die „Woken“ kürzen es als PoC ab.

Ein schönes Schaubild um zwischen Exklusion, Segregation, Integration und Inklusion unterscheiden zu können. Bildquelle: bildungsserver.de

Menschen politisch korrekt anzusprechen ist das eine Problem. Ein weiteres, vielleicht viel dramatischeres Problem ist aber ein anderes. „Politisch korrekter Sprachgebrauch ist […] vor allem und zuallererst ein Distinktionskapital; eine Waffe, mit deren Hilfe man mehr oder weniger Gleichgestellte wirksam zu Ungleichen machen kann“ (40) – aus linker Politik wird eine Postmoderne Pseudopolitik (41), in der eine konstruktive Debattenkultur verloren geht. Um aber existenzielle Herausforderungen zu bewältigen, ist eine funktionierende Debattenkultur essenziell. Pfallers Kritik: „Während man also nichts unternimmt, um das inzwischen längst demokratiegefährdende Anwachsen von ökonomischer Ungleichheit aufzuhalten und rückgängig zu machen, richtet man sein Augenmerk auf sechs bis acht andere Ungleichheiten.“ (37). Gemeint ist hier nicht nur die „liberale Austeritätspolitik“ auf nationaler Ebene, sondern auch die auf europäischer. Noch immer gibt es kein einheitliches europäisches Steuersystem, die soziale Ungleichheit nimmt zu – und unzufriedene „Menschen mit Existenzsorgen“ wählen die neuen Rechten. In den USA wird Donald Trump gewählt, in Deutschland erstarkt die AfD, in Ungarn ist Orban an der Macht. Ganz zu schweigen von Russlands Oberhaupt Vladimir Putin. Selbst Linke Politiker wie Sahra Wagenknecht, Bernie Sanders oder Oskar Lafontaine, die es Pfaller gleich machen und die aktuelle Politik kritisieren, werden von der „postmodernen Pseudolinken“ als Mitläufer der rechten Parteien angesehen. Alle sind gleich, manche nur gleicher oder eben inkludiert. Aber: „Inklusion, wörtlich Einschließung, ist das genaue Gegenteil des Prinzips einer offenen Gesellschaft.“ (50).

Durch die Political Correctness und der verstärkten Berufung auf die eigene Identität passiert etwas aus psychoanalytischer Sicht Hinderliches für das Erwachsensein und -werden. Das zuvor voneinander getrennte Über-Ich und Ich nähern sich an und sind größtenteils schon zu ein und derselben psychischen Instanz verwachsen. Verloren geht dadurch etwa Humor oder selbst eine differenzierte Betrachtung auf Höflichkeiten. Erklärt ein Mann einer Frau etwas, handelt es sich unmittelbar um das abwertende mansplaining. Nicht etwa um den Versuch, ein Gespräch zu eröffnen. Die Differenzierung zwischen weißen Lügen und schwarzen Wahrheiten kann nicht mehr erfolgen. Aus Kulturen der Würde wird eine Kultur des Opferseins. Eine Kultur, in der jede, jeder und jedes versucht, sich durch jedwede Besonderheit abzugrenzen, anstatt Gemeinsamkeiten zu entdecken. Mehr als das: Diese Besonderheit wird so stark betont, dass diese erstens die eigene Identität ausfüllt, und zweitens mit „absoluter Gewissheit“ (127) geglaubt und ausgebildet wird. Es entsteht ein paranoisches Bewusstsein für die eigene Ideologie, dessen charakterlicher Zwang zur Selbstoptimierung „nicht vergleichbar mit der abergläubischen Vermeidung des Unreinen oder der bekenntnishaften Anstrengung zu moralischer Läuterung“ (ebd.) sei.

Schaubild. Quelle: wikipedia.de

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schlägt Pfaller etwas simples, aber hinsichtlich des politischen Diskurses erstaunlich schwer umzusetzendes, vor: Maßnahmen ergreifen, die schlechte Situation sprichwörtlich an der Wurzel packen und dadurch verbessern, anstatt schlechte Situationen nur gut klingen zu lassen. Davon profitierten dann mehrere Minderheiten und bis dato unterrepräsentierte Gruppen.

Doch letztlich ist jedes Individuum selbst gefragt, um die ehemals vorhandene Distanz zwischen dem Ich und dem Über-Ich wieder herzustellen. Lapidar ausgedrückt: Lernen, über sich selbst und andere zu lachen. Wenn sie erwachsen sind, werden sie mitlachen. Dazu sollte der öffentliche Raum als Raum des fruchtbaren Austausches untereinander begreifen. Den Leitfaden für zweiteres geben Dr. Peter Boghossian & Dr. James Lindsay in dem Gespräch „Die Kunst, schwierige Gespräche zu meistern“. Ferner wäre dies ein feiner Beginn der Umsetzung der von Yvonne Hofstetter begrüßten und Hannah Arendt erdachten partizipatorischen Demokratie. Mit Humor, Genuss & Erwachsenensprache.

Kontext: Dies ist eine Buchrezension, die Teil meines Studiums ist und aus dem letzten Jahr stammt. Abgegeben wurde sie am 16.11.2021. Lediglich die Bilder sind nachträglich eingefügt worden.